GLP-1-Rezeptoragonisten und Sicherheit
Am 29. Oktober wurde online im Journal Surgery for Obesity and Related Diseases ein umfassender Leitfaden für die klinische Praxis veröffentlicht, der sich mit der sicheren Verwendung von Glucagon-ähnlichen Peptid-1-Rezeptoragonisten (GLP-1 RAs) während der perioperativen Phase befasst. Dieses gesellschaftsübergreifende Projekt zielt darauf ab, Empfehlungen für Gesundheitsdienstleister bereitzustellen, die Patienten im Rahmen von Operationen mit diesen Medikamenten behandeln. Dr. Tammy L. Kindel vom Medical College of Wisconsin in Milwaukee hat zusammen mit ihren Kollegen die Entwicklung dieser Richtlinien vorangetrieben. Sie würdigen den transformativen Einfluss, den GLP-1 RAs auf die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen hatten, erkennen aber gleichzeitig die Notwendigkeit spezifischer perioperativer Protokolle an. Die Leitlinien betonen einen kollaborativen Ansatz und fördern eine gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Patienten und ihren Behandlungsteams, einschließlich Fachärzten für Verfahren, Anästhesie und Verschreibung. Dieser Prozess sollte die metabolischen Vorteile einer fortgesetzten GLP-1-RA-Therapie gegen potenzielle Operationsrisiken abwägen. Ein Schwerpunkt der Empfehlungen liegt auf der Bewertung von Faktoren, die das Risiko einer verzögerten Magenentleerung und Aspiration erhöhen können. Das Dokument betont, wie wichtig es ist, diese Bewertungen lange vor geplanten Operationen durchzuführen, um notwendige Anpassungen der perioperativen Behandlungspläne zu ermöglichen. Um das mit einer verzögerten Magenentleerung verbundene Aspirationsrisiko zu verringern, schlagen die Leitlinien vor, präoperative Ernährungsumstellungen vorzunehmen und Änderungen der Anästhesieprotokolle in Betracht zu ziehen. Insbesondere für Fälle, in denen eine verzögerte Magenentleerung Anlass zur Sorge gibt, empfiehlt das Dokument eine flüssige Ernährung für mindestens 24 Stunden vor dem Eingriff. Die Autoren stellen klar, dass dieses Dokument eher als klinische Leitlinien denn als definitive, evidenzbasierte Leitlinie interpretiert werden sollte. Sein Hauptziel besteht darin, Entscheidungsprozesse zu erleichtern, die Sicherheitsaspekte mit den therapeutischen Bedürfnissen von Patienten in Einklang bringen, die GLP-1-RAs einnehmen und chirurgische oder prozedurale Eingriffe benötigen. Es ist erwähnenswert, dass mehrere an der Entwicklung dieser Empfehlungen beteiligte Autoren finanzielle Beziehungen zur Pharma- und Medizingeräteindustrie offengelegt haben.
Kommentar der SuppBase-Kolumnistin Alice Winters:
Die Veröffentlichung dieser Richtlinien stellt einen entscheidenden Schritt dar, um die wachsende Schnittstelle zwischen Stoffwechselgesundheitsmanagement und chirurgischer Versorgung anzugehen. Während GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid (Ozempic, Wegovy) und Tirzepatid (Mounjaro) weiterhin die Schlagzeilen beherrschen und die Patientenversorgung verändern, reicht ihre Wirkung weit über den Bereich der Endokrinologie und der Primärversorgung hinaus. Dieses Leitliniendokument erkennt scharfsinnig das zweischneidige Schwert an, das GLP-1-RAs im perioperativen Umfeld darstellen. Einerseits bieten diese Medikamente eine beispiellose glykämische Kontrolle und Vorteile bei der Gewichtsabnahme und reduzieren potenziell die mit Fettleibigkeit und Diabetes verbundenen Operationsrisiken. Andererseits stellt ihr Wirkmechanismus – insbesondere die Verlangsamung der Magenentleerung – im Zusammenhang mit Anästhesie und chirurgischer Genesung einzigartige Herausforderungen dar. Die Betonung der gemeinsamen Entscheidungsfindung ist lobenswert, da sie die Komplexität dieser Fälle und die Notwendigkeit individueller Behandlungspläne anerkennt. Dieser Ansatz unterstreicht jedoch auch die dringende Notwendigkeit robusterer, evidenzbasierter Protokolle. Dass man sich derzeit auf klinische Urteile verlässt, ist zwar notwendig, unterstreicht jedoch die relative Neuheit der weit verbreiteten Verwendung von GLP-1-RA und die Lücken in unserem Verständnis ihrer perioperativen Auswirkungen. Die Empfehlung einer präoperativen Ernährungsumstellung ist ein praktischer, wenn auch etwas konservativer Ansatz zur Minderung des Aspirationsrisikos. Eine 24-stündige Flüssigdiät ist ein geringer Preis für eine verbesserte Operationssicherheit, wirft jedoch Fragen zum Potenzial gezielterer Eingriffe auf. Zukünftige Forschung könnte untersuchen, ob die Dauer dieser Ernährungsumstellung auf der Grundlage des verwendeten spezifischen GLP-1-RA, seiner Dosierung und individueller Patientenfaktoren angepasst werden könnte. Es ist bemerkenswert, dass die Leitlinien nicht so weit gehen, ein allgemeines Absetzen von GLP-1-RA vor der Operation zu empfehlen. Diese differenzierte Haltung spiegelt ein Verständnis der metabolischen Vorteile wider, die diese Medikamente bieten, insbesondere für Patienten mit schlecht kontrolliertem Diabetes oder schwerer Fettleibigkeit. Sie stellt jedoch auch eine erhebliche Belastung für die Operationsteams dar, die diese Patienten sorgfältig untersuchen und behandeln müssen. Die Offenlegung der Verbindungen mancher Autoren zur Industrie ist ein zweischneidiges Schwert. Sie stellt zwar sicher, dass die Leitlinien von fundierten, praktischen Kenntnissen dieser Medikamente profitieren, erfordert aber auch eine sorgfältige Prüfung, um sicherzustellen, dass die Empfehlungen nicht übermäßig von kommerziellen Interessen beeinflusst werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Leitlinien einen entscheidenden ersten Schritt darstellen, um das komplexe Zusammenspiel zwischen GLP-1-RAs und der perioperativen Versorgung zu meistern. Mit zunehmender Erfahrung mit diesen Medikamenten können wir mit der Entwicklung ausgefeilterer, evidenzbasierter Protokolle rechnen. Im Moment müssen Ärzte und Patienten gleichermaßen einen sorgfältigen Dialog führen und die erheblichen Vorteile dieser revolutionären Medikamente gegen die differenzierten Risiken abwägen, die sie in chirurgischen Umgebungen bergen können. Wir stehen vor dem Zeitalter der personalisierten Medizin, und nirgendwo wird dies deutlicher als bei der Behandlung von Patienten mit GLP-1-RAs, die sich einer Operation unterziehen.